Unternehmensentwicklung
26.07.94/ uv/ Die heutige Maschinenfabrik Scharf GmbH erwuchs im Jahre 1951 aus einem kleinen Betrieb mit 10 Mitarbeitern, der damaligen Firma Heinrich Scharf. Zunächst wurden nur Grubenausbau gefertigt und Stahlförderbänder repariert, doch 1953 schon kamen eigene Produkte in die Fertigung (Scharf-Kohlenkuli, Scharf-Elastic-Kupplung). Im Jahre 1954 stellte sich die Heinrich Scharf Untertage GmbH auf der Bergbauausstellung in Essen erstmals der Öffentlichkeit vor.
Weitere Meilensteine in der Entwicklung waren der Scharf-Streckenkuli und die Einschienenhängebahn, die 1958 auf der Weltbergbauausstellung in Essen dem fachkundigen Publikum gezeigt wurden. Beide Transportsysteme wurden in den Folgejahren konsequent weiterentwickelt.
Im Jahre 1965, das Unternehmen zählte bereits 200 Mitarbeiter/innen und war nach Bockum-Hövel umgezogen, präsentierte man "Autorail", die erste dieselhydraulisch angetriebene Einschienenhängebahn für den untertägigen Betrieb mit mit Programmsteuerung und automatischer Weichenstellung.
1962 wurde im Saarland zur besseren Betreuung der dort ansässigen Bergwerke ein Auslieferungslager eröffnet. Zunächst führte das Werk Heinitz nur Reparaturen aus, heute werden auch Neufertigungen für den Saarbergbau hier abgewickelt.
Im Jahre 1969 wurde die Maschinenfabrik Scharf GmbH vom Konzern der Gewerkschaft Eisenhütte Westfalia in Lünen übernommen. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre begann man damit, sich auch mit Transportsystemen außerhalb des Bergbaus zu befassen.
Heute besteht die Produktionspalette im Bereich Bergbau im wesentlichen aus Einschienenhängebahnanlagen (Triebfahrzeuge sowohl mit Diesel- als auch mit Akkuantrieb, pneumatische und hydraulische Rangierkatzen, Seilbahnantriebe), Schienenflurbahnen (mit Diesel- und Elektroantrieb, Schienenanlagen mit normalen oder Spezialprofilen für zwangsgeführte Bahnen) und Sesselliften (hauptsächlich für den Personentransport).
Außerhalb dessen werden auch Transportsysteme für viele andere Bereiche entwickelt und hergestellt, so z.B. im Automobilbau, in der Offshore-Technik und im Bereich Bau und Unterhaltung von Kanalrohrsystemen.
Einen großen Teil der Aktivitäten nimmt auch die Generalüberholung von ehemals im eigenen Hause gefertigten Produkten, insbesondere von Einschienenhängebahnen, ein. Auf einem umfangreichen Test- und Vorführgelände können die verschiedenen Transportsysteme auf Herz und Nieren geprüft und Interessenten gezeigt werden.
Der "Grubenflitzer"
Der "Grubenflitzer" wurde 1954 als eine der ersten eigenen Entwicklungen der damals im Entstehen begriffenen Maschinenfabrik Scharf aus der Taufe gehoben. Es gab zwar schon zuvor Schienenfahrräder im Bergbau, doch nur in kleinen Stückzahlen und zumeist waren es Eigenkonstruktionen der Bergwerke. Einen industriellen Anbieter hierfür gab es noch nicht. Auch war der Bedarf dafür erst mit der Entstehung größerer Wegstrecken untertage gewachsen.
Der Prototyp war eine recht einfache, niedrige Kontruktion, einsitzig, mit einer hinten angebrachten Gepäckkiste und einem Gewicht von nur 30 kg. Das Fahrzeug erregte sogar das Interesse des damaligen Bundeswirtschaftsministers Erhard auf der Bergbauausstellung in Essen im Jahre 1954.
In den Folgejahren wurde das Fahrzeug, das sich schon bald in Stückzahlen von 30-40 Stück pro Monat absetzen ließ, weiterentwickelt:
Das nächste Modell besaß eine Gerätekiste vorn und ein Fahrwerk mit Dreipunktlagerung, um Entgleisungen auch bei schlechter Gleislage zu vermeiden. Auf einem zweiten Sattel konnte noch ein Beifahrer mitgenommen werden. Bei engen Platzverhältnissen ließ sich der Aufbau mit wenigen Handgriffen umklappen. Zudem wurde für einige Bauteile eine korrosionsbeständige Sonderlegierung (AlMgSi) verwendet, die eine erhebliche Gewichtsersparnis mit sich brachte: Immer noch wog das Fahrzeug nur 30 kg!
Die Mitte der 60er Jahre angebotenen "Grubenflitzer" wiesen dann schon eine Fahrradnabe als Einbauteil auf, welche dem Fahrer einen Freilauf und eine Rücktrittbremse bescherte. Die Laufräder waren aus einer tiefgezogenen Stahlblechscheibe hergestellt. Die zweisitzige Ausführung konnte auch mit zwei Antrieben (vorn und hinten) geliefert werden, auch eine dreisitzige Version (standardmäßig mit zwei Antrieben) wurde angeboten. Das zweisitzige Fahrzeug war 1.25 m lang und wog 55 kg, das dreisitzige brachte bereits 85 kg bei einer Länge von 1.93 m auf die Waage. Natürlich konnten alle im Bergbau gängigen Spurweiten beliefert werden.
Neu im Angebot war auch ein Zweiachsanhänger mit Ladepritsche und senkrechtem Rohrschutzrahmen, in den wahlweise auch zwei Sitze eingehängt werden konnten. Der Anhänger war 1.73 m lang und wog rund 100 kg.
Ob der Anhänger in dieser Version überhaupt Verbreitung gefunden hat, ist unklar: Einerseits sind hierzulande Fahrradanhänger untertage nicht zugelassen, andererseits erfordert es schon einen bedeutenden Kraftaufwand, den in beladenem Zustand ohne Mühe 250 kg wiegenden Anhänger mit einem Fahrrad zu ziehen!
Ein weiteres Fahrrad, das in einem Prospektblatt von 1967 angeboten wurde, besaß einen völlig neu konstruierten Rahmen mit zwei Sätteln, einem Antrieb, einer Gerätekiste vorn, wog schon 82 kg und wies eine Länge von 1.78 m auf.
Auf Kundenwusch kamen weitere Sonderkonstruktionen zustande, so z.B. der Einbau einer Dreigang-Fahrradnabe, und die Verwendung eines Ilo-Motors (nur für den Übertageeinsatz im Moor).
Im Jahre 1975 wurde ein Schienenfahrrad mit einem Elektroantieb (S35006)(Akku) ausgerüstet und im gleichen Jahr auf einer Ausstellung unter dem Namen "Buggy" gezeigt. Das Interesse war groß, doch die Sicherheitsanforderungen im Kohlenbergbau untertage sind hoch, so daß das Fahrzeug sehr schwer wurde und vor allem teuer war. Es ist nur bei diesem Prototyp geblieben.
Das neueste Prospektblatt zum Thema Grubenfahrräder weist neben dem ein- und zweisitzigen "Grubenflitzer" mit Aluminiumrahmen (S35003) noch ein Fahrrad in Stahlausführung (s. weiter unten) auf, sowie zwei Sonderfahrzeuge:
Das erste Fahrzeug (S35011) ist speziell für niedrige Strecken gebaut worden. Es ist mit zwei nebeneinanderliegenden Schalensitzen, zwei Antrieben und einer vornliegenden Gerätekiste ausgestattet. Die Oberkante des Schalensitzes, höchster Punkt des Fahrzeugs, liegt nur 50 cm über der Schienenoberkante! Das Fahrzeug ist 1.90 m lang, wiegt 90 kg und ist wegen der nebeneinanderliegenden Antriebe nur für Spurweiten von 1060 bis 1220 mm lieferbar. Dazu gibt es einen einachsigen Anhänger S35012 mit einer Länge von 2.06 m und einem Gewicht von 42 kg.
Das zweite ist ein fünfsitziges Fahrzeug (S35016) mit zwei nebeneinanderliegenden Pedalantrieben und einer vorn quer angeordneten Bank, auf der bis zu 3 Personen Platz nehmen können. Es ist 1.79 m lang, wiegt 130 kg und kann für Spurweiten zwischen 800 und 1000 mm gebaut werden.
Nachdem hierzulande im untertägigen Kohlenbergbau Aluminiumkonstruktionen nicht mehr zugelassen sind, hat jetzt nur noch das Stahlfahrrad S35017 eine Bedeutung. Zur Zeit werden durchschnittlich 3-4 Fahrzeuge pro Monat verkauft, so daß auch immer einzelne Exemplare als Vorrat gehalten werden. Das zweisitzige Fahrrad verfügt über einen Antrieb und zwei Gerätekisten. Der Stahlrahmen ist aus Rechteckprofilen zusammengesetzt und nicht mehr klappbar. Das Fahrzeug ist 2.00 m lang, wiegt 100 kg und wird für Spurweiten ab 500 mm gebaut. Für Interessenten: Der Neupreis liegt zur Zeit bei rund 2500 DM/Stück!
In bestimmten Bereichen des Kohlenbergbau werden Grubenfahrräder tagtäglich verwendet. Besonders Aufsichtspersonen, Markscheider, Schießmeister, Schlosser, Elektriker und Belegschaften entfernter Ortsbetriebe können damit ihre Wegzeiten erheblich verkürzen. Einzelne Ruhrkohle-Bergwerke besitzen mehrere hundert (!) Räder, es gibt regelrechte "Fahrradschuppen" untertage, aus denen zu Schichtbeginn jeder Kumpel sein eigens abgeschlossenes Fahrrad entnimmt!
Seit 1954 hat die Maschinenfabrik Scharf schätzungsweise rund 10000 Schienenfahrräder gebaut. Das Absatzgebiet beschränkt sich dabei ausschließlich auf das Inland. Im Laufe der Zeit gab es keinen Konkurrenzbetrieb, der über längere Zeit hinweg einen ähnlichen Marktanteil auf diesem Sektor halten konnte.
Als Kuriosität soll erwähnt werden, daß der "Grubenflitzer" noch einen Bruder besitzt, nämlich das "Kanalbike", mit dem - allerdings gleislos, auf Gummirädern, aber auch ohne Lenkung - Kanalrohrprofile mit Durchmessern zwischen 800 und 1600 mm zu Wartungszwecken befahren werden können. Das "Kanalbike" wird auf Wunsch noch heute produziert!
© Exkursionsmeldung von Ulrich Völz